Die Welpen blieben dann noch mehrere Wochen bei mir und ich gewann sie richtig lieb. Ja, Muttergefühle könnte man das nennen. Auf jeden Fall sorgte ich mich aufopferungsvoll um sie. Wenn sie sich zu weit vom Körbchen entfernten, wenn ihnen Gefahr drohte, stupste ich sie mit der Nase in die richtige Richtung oder ich trug sie mit den Zähnen im Nacken zurück.
Dabei vergaß ich alles um uns herum. Ich weiß nicht, wie viele Tage vergingen, mein Zeitgefühl kam langsam aber sicher abhanden. Eines Tages tauchten Besucher auf, die offenbar an den Welpen interessiert waren. Die Frau verliebte sich sofort in meine beiden Zöglinge. Beide verhandelten dann noch eine Zeit mit Herrchen, wovon ich nicht alles verstand, und dann holte der Mann einen kleinen Transportkäfig. Als die Welpen dort hineingesetzt wurden, tat mir das weh und ich musste jammern. Alex interessierte das nicht und das ärgerte mich. Schließlich war er ja der Stiefvater. Aber all mein Jammern und Jaulen und auch das der Welpen half nicht. Die neuen Besitzer nahmen den Käfig und meine Welpen mit. Das war ein trauriger Tag. Herrchen kam zwar und versuchte, mich zu trösten, aber meine Trauer hielt an. Es dauerte noch ein paar Tage, bis ich das verwunden hatte.
Die nächste Zeit verlief ziemlich ereignislos. Alex und ich spielten viel zusammen, in der Wohnung, im Garten. Ab und zu kam Barbara vorbei und manchmal sperrten sie uns dann ins Nebenzimmer ein, wenn sie mal wieder alleine sein wollten. Die Tage oder Wochen bestanden aus fressen, trinken, spielen, dösen, auslauf, schlafen. Dabei habe ich auch noch ganz gut abgenommen. Ich lebte ja von dem Fressen, was Alex mir in seinem Napf übrig ließ. Er schien genau zu wissen, wie viel ich benötigte. Auf jeden Fall blieb ich nie ernsthaft hungrig. Trotzdem merkte ich, dass ich Gewicht verlor, und das war aber auch bitter nötig. Mein Bauch war zu Beginn nicht gerade klein und manchmal mag das gewirkt haben, als wäre ich trächtig. Mittlerweile hatte sich das gebessert.
Barbara kam zu Besuch und sie unterhielt sich angeregt mit Herrchen bei einem Tee. Sie redeten viel und es war mir zu anstrengend, da zuzuhören. Ich verstand nur ab und zu Worte wie „zwei Wochen ausspannen“ oder „endlich Urlaub“ und „was machen wir mit den Hunden?“ Hmm, das war interessant und irgendwie beschlich mich eine innere Unruhe. Alex schien auch ein wenig unruhig zu werden, aber er schien lange nicht so besorgt wie ich. Beide unterhielten sich noch eine Zeit, bevor sie uns dann wieder in das Nebenzimmer sperrten. Als wir dann miteinander tollten, habe ich dann auch diesen Vorfall schnell wieder vergessen. Das ist das Schöne am Hundeleben, Probleme der Menschen interessieren uns nur am Rande, wir konzentrieren uns lieber aufs Dösen und Fressen. Trotzdem machte Herrchen am Abend etwas Ungewöhnliches, er nahm ein paar Reisetaschen aus dem Schrank und begann sie mit Kleidungsstücken zu füllen. Das war ungewöhnlich und da wir das nicht gewohnt waren, beunruhigte uns das. Wir liefen hin und her und ab und zu entwichen uns leise Jammerlaute. Ja, Tiere merken, wenn sich etwas Ungewöhnliches tut.
Herrchen versuchte uns zu beruhigen und sprach auf uns ein, während er uns streichelte und das Fell kraulte.
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Janine drehte sich um und ging weg. Nun waren wir allein im Zwinger. Es war schon ein komisches Gefühl. Noch vor ein paar Wochen war ich für mein Leben selbst verantwortlich, traf meine eigenen Entscheidungen und vor allem konnte ich über mich selbst bestimmen. Nun war alles vollkommen anders. Ich wurde von allen behandelt wie ein Haustier, ein Hund, der ohne sein Herrchen, ohne Menschen aufgeschmissen war. War die Straße eine Option? Dort wäre ich auf mich alleine gestellt und könnte meine eigenen Entscheidungen treffen. Nur, was für ein Leben wäre das als Straßenköter? Ständig auf der Suche nach Futter sein zu müssen, Krankheiten, bei Wind und Wetter draußen und dann kam noch dazu, dass ich eine Hündin war, wer weiß, was die Rüden alles mit mir anstellen würden. Nein, das war keine Wahl! Also musste ich auf die Menschen vertrauen und mein Leben in ihre Hand legen. Das war eigentlich eine ganz interessante Alternative. Schließlich wurden die meisten lebenswichtigen Entscheidungen für mich getroffen und ich musste mir keine Sorgen um mein Leben machen. Hmm, das war doch attraktiv und so kam ich zu dem Schluss, dass ich damit sehr gut leben könnte, auch wenn ich mich dem Menschen dadurch komplett unterordnen müsste. Ich hatte mich mit meinem neuen Status im Leben als Tier abgefunden und da es aus meiner Sicht nur Vorteile für mich bot, freute ich mich auf das, was da noch kam.
Wir schauten uns den Zwinger an. Die Schnauze immer am Boden, um die vielen unterschiedlichen Gerüche aufzunehmen. Da waren vor uns schon eine Menge anderer Hunde untergebracht und jeder hatte seinen Duft hinterlassen. Ich war natürlich lange noch nicht so gut wie Alex, aber mittlerweile konnte ich die einzelnen Gerüche auch schon ganz gut unterscheiden und sogar die Harngerüche machten mir nicht mehr viel aus. Das machte mich sehr stolz und ich nahm mir vor, noch mehr von Alex zu lernen.
Der Zwinger war nicht sonderlich komfortabel. Gerade groß genug für zwei mittelgroße Hunde, mit einer Hütte an einem Ende. Zwar nicht so bequem wie zuhause aber wenigstens sauber. Links und rechts schlossen sich weitere Zwinger an. Die waren offensichtlich bewohnt. Links neben uns tollten ein paar bunte Mischlinge umher und schauten uns neugierig an. Wir schenkten ihnen aber keine große Aufmerksamkeit.
Plötzlich bellte es laut von rechts und da sahen wir ihn. Ein riesig großer Mastiff, fast doppelt so groß und schwer wie wir. Ein imposanter grauschwarzer Rüde, der den Eindruck erweckte, als wolle er die Weltherrschaft an sich reißen. Was für ein Tier! Ich wurde ganz klein, legte meinen Kopf auf die Vorderpfoten und schaute verlegen zur Seite. Damit waren die Machtverhältnisse sofort geklärt und er stellte sein Bellen ein. Ich kam aber nicht umhin, immer mal wieder bewundernd zu ihm hinüber zu blicken. Alex verhielt sich da eher neutral. Ich konnte allerdings nicht erkennen, ob er eifersüchtig war. Wir zogen uns dann in unsere Hütte zurück und gingen zu den Futternäpfen, die dort bereitstanden. Ich hatte zwar einen eigenen, aber wie wir das gewohnt waren, fraß erst Alex und dann war ich an der Reihe und nahm den Rest von ihm. Nun legten wir uns erstmal hin und schliefen erstmal eine Weile.
Am Nachmittag kam dann Janine vorbei. Sie hatte zwei Leinen in der einen Hand, in der anderen hatte sie eine Leine und an deren Ende lief ein dickes graues Hängebauchschwein.
„Das ist Lisa, mein Lieblingsschwein, keine Angst, sie tut euch nichts. Kommt her, wir gehen mal etwas spazieren und ich zeige euch den Hof.“
Bereitwillig und neugierig ließen wir uns anleinen, ganz gespannt darauf, was wir nun alles sehen würden. Lisa war etwa so groß wie wir, nur war sie viel massiger und sie hatte einen riesigen hängenden Bauch. Sie schnüffelte uns ab und wir taten das Gleiche bei ihr. Ich merkte, dass Lisa gutmütig war, und schloss sofort Freundschaft mit ihr. Während unseres Spazierganges gingen wir stets nebeneinander. Alex drängte immer etwas vor und schaute sich alles aufmerksam an. Ab und zu bellten wir natürlich, wenn wir andere Tiere sahen. Das gehört sich so. Lisa grunzte und schnaufte dementsprechend.
Hier gab es eine Reihe anderer Zwinger mit Hunden verschiedenster Rassen. Manche dösten vor sich hin, andere bellten aufgeregt, wieder andere spielten mit Artgenossen. Es gab Ställe, da standen Ponys und Pferde. In einem Gatter suhlten sich ein paar Schweine im Matsch. Eine Gänseschar rannte aufgeregt und laut schnatternd umher, als sie uns sahen. Wir benahmen uns aber und hielten unsere Triebe im Zaum. Janine schien zufrieden mit uns zu sein, denn zwischendurch sprach sie zu uns aufmunternde Worte und ab und zu streichelte sie uns sogar kurz.
Wir kamen an eine große umzäunte Wiese. Dort spielten und tollten eine ganze Reihe anderer Hunde umher. Janine ließ uns mit Lisa rein und nahm uns die Leinen ab. „Los, ab und spielt ein bisschen“, rief sie. Wir rannten nun los zu den anderen, während Lisa langsam und gemächlich hinterher trottete. Immer die Schnauze auf dem Boden auf der Suche nach irgendwas. Hmm dachte ich, ein Hängebauchschwein hätte ich vielleicht auch gerne sein wollen, auch wenn sie nicht besonders attraktiv aussehen, haben sie doch ein recht gemütliches Leben. Ich glaube, sie müssen auch nicht immer so sehr auf der Hut vor irgendwelchen wilden Rüden sein. Ich erwachte aber schnell wieder aus meinem Tagtraum als die anderen Hunde auf mich zugelaufen kamen und an mir herumschnüffelten. Ich tat das gleiche bei ihnen und als sie merkten, dass ich kein imponierender Rüde, sondern eine zurückhaltende und schüchterne Hündin war, gab es keinen Grund zur Rivalität. Ich hielt mich sehr zurück, da ich keinen Ärger wollte.
Nach einiger Zeit leinte uns Janine wieder an und wir gingen weiter. Lisa begleitete uns natürlich wieder. Als wir zu einer großen Wiese kamen, nahm Janine zwei Stöckchen, warf sie und forderte uns auf diese zu holen. Wir rannten los und brachten die Stöckchen zurück. Alex etwas zögerlicher als ich. Sie lobte mich besonders und warf erneut. So ging das eine Zeit lang hin und her, bis wir etwas müde wurden. Sie brachte uns dann zum Schweinegatter, wo wir aus dem Trog trinken durften. Die Schweine waren von uns nicht beeindruckt, im Gegenteil, sie zeigten, dass sie hier die Herren waren, und wir zogen uns dann respektvoll zurück, nachdem wir etwas getrunken hatten. Mit einem ausgewachsenen Schwein wollte ich mich dann doch nicht anlegen.
Anschließend ging es wieder zurück zu unserem Zwinger. Die Leinen kamen ab und ich verabschiedete mich noch von Lisa, indem wir uns gegenseitig ausgiebig abschnüffelten. Unsere Näpfe waren gefüllt und so konnten wir erstmal unseren Hunger stillen. Es wurde schon dunkel und so legten wir uns dicht nebeneinander in die Hütte. Es war ein angenehmes Gefühl, Alex so dicht neben mir zu haben und so schliefen wir schnell ein.
Am Morgen sah ich als Erstes den Mastiff, der stolz in seinem Zwinger nebenan stand. Alex war noch nicht wach und so schaute ich den Rüden etwas genauer und ausgiebiger an. Er kam dann näher an das Gitter heran und begann zu schnüffeln. Auf einmal war er gar nicht mehr so dominant und furchteinflößend, sondern er schien irgendwie meine Nähe zu suchen. Das wurde mir dann doch ein bisschen zu heikel und da zog ich mich zu Alex in die Hütte zurück.
Kurze Zeit später erschien wieder Janine. Ich war traurig, denn meine neue Spielkameradin Lisa war nicht dabei. Dafür hatte sie eine Golden Retriever Hündin bei sich. Die ging ohne Leine und schien aufs Wort zu gehorchen. Lizzy war ihr Name. Wir kamen wieder an die Leine und gingen diesmal in eine andere Richtung. Wir kamen vorbei an einer Reihe freilaufender Hühner. Als sie uns sahen, stieben sie laut gackernd auseinander. Wir hatten doch gar nichts gemacht, noch nicht mal gebellt. Trotzdem gefiel es mir, dass sie so viel Respekt vor uns hatten.
Wir gingen bis zu einem Platz, der scheinbar eine Art Hundeausbildungsplatz war. Auf jeden Fall gab es hier mehrere Hindernisse und verschiedene Geräte. Lizzy kannte sich offensichtlich aus und lief alleine zwischen den Geräten umher. Janine nahm uns aber unsere Leinen nicht ab. Dafür kniete sie sich zu uns herunter und sprach mit uns. Sie redete aber sehr viel und so kompliziert, dass ich nur wenig verstand. Ich strengte mein Gehirn an und kam zu dem Schluss, dass sie mit uns einfache Kommandos und Übungen machen wollte. Offensichtlich wollte sie überprüfen, wie der Stand unserer Ausbildung ist. Ich hatte ja bisher keinerlei Ausbildung, aber aus meiner Zeit vor Olga war mir ja einiges bekannt und außerdem habe ich immer sehr auf mein Vorbild Alex geachtet. Deshalb war mir hier nicht bange.
Zunächst nahm sie die Leine kurz und ging mit Alex links und ich rechts, den Weg entlang. Wir blieben dicht an ihrer Seite, alle auf einer Linie. Zurück und dann das Ganze ohne Leine. Wieder blieben wir dicht bei ihr. Dann ging sie schneller, irgendwann rannte sie und wir behielten alles so bei. Sie lobte und streichelte uns und es gab ein kleines Leckerli, das wir aus der Luft auffingen.
Dann beugte sie sich wieder hinab und erklärte. Diesmal verstand ich mehr, sie wollte uns nun Kommandos geben.
„Alex Platz!“, „Alex sitz!“, „Alex bleib!“, das klappte alles ganz gut und ich schaute mir alles ganz aufmerksam an, schließlich wollte ich ja keinen Fehler machen.
„Olga Platz!“, „Olga sitz!“, „Olga bleib!“, ich bemühte mich, noch besser und schneller zu sein als Alex und Janine lobte mich und warf mir ein Leckerli zu das ich sofort geschickt auffing. Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, wie stolz ich war! „Olga Bleib!“, „Olga Such!“, „Olga Nein!“, und freudig machte ich weiter, immer wieder und immer wieder.
„Olga, fein hast du das gemacht, hier ein Leckerli“, und schwups hatte ich es mit den Zähnen gefangen. Ich war froh, dass ich die Kommandos so gut verstanden und Janine nicht enttäuscht hatte. Vor ein paar Wochen hätte ich über diese Aktion noch geschmunzelt, doch nun freute ich mich über jedes Kommando, das ich verstand und ausführen konnte.
Janine ließ uns noch ein bisschen freilaufen und nachdem wir an ein paar Büschen und Bäumen geschnüffelt hatten, erleichterten wir uns dahinter. Komischerweise zog es mich zu Alex Geschäft und ich schnupperte kurz daran. Grässlich, aber das war wohl irgendein Instinkt. Irgendwie schienen die Hundeinstinkte langsam die Überhand zu gewinnen. Ich nahm mir vor, das mehr unter Kontrolle zu haben. Ich konnte doch nicht zulassen, dass ich eines Tages nur noch Tier bin, oder?
Nachdem sie uns zurück in den Zwinger brachte, fraßen wir und schliefen erstmal wieder. Am Nachmittag stand Janine wieder vor dem Zwinger. Diesmal hatte sie wieder Lisa dabei.
„Na ihr Schlafmützen, habt ihr Lust auf ein bisschen Auslauf?“ Sofort sprangen wir auf und ließen uns bereitwillig die Leinen umlegen.
„Lisa scheint ein bisschen Sehnsucht nach Olga gehabt zu haben. Geht es dir auch so Olgalein?“ Freudig sprang ich auf und schnüffelte an Lisa. Sie ließ sich das auch nicht zweimal sagen und tat das Gleiche. Wir gingen dann auf die Wiese, wo Janine uns frei laufen ließ. Dort bestand keine Gefahr, dass wir die Hühner und Gänse erschrecken würden. Während Alex hin und her rannte, versuchten Lisa und ich uns spielerisch miteinander zu beschäftigen. Leider ist ja so ein Hängebauchschwein nicht so wendig und agil, aber wir hatten trotzdem unseren Spaß miteinander.
„Nun Olga, gefällt es dir mit den Schweinen zu spielen? Vielleicht sollten wir dich im Schweinestall unterbringen. Würde dir das besser gefallen?“ Natürlich konnte ich nichts erwidern und eine Antwort hatte Janine sowieso nicht erwartet, aber der Gedanke kreiste von nun an in meinem Kopf und ließ mich nicht mehr los.