Der Streichelzoo
Als der Wagen anhielt, ging hinten die Klappe auf und der Tierpfleger kam herein. Er machte uns von den Zurrgurten los und dann ging es über die Rampe hinaus an die frische Luft. Mit der Hand scheuchte er uns in Richtung einer großen Scheune. Dort angekommen sahen wir, dass es hier verschiedene Holzgatter gab, die teilweise belegt und teilweise leer waren. Er öffnete eines und dort schauten uns viele Augen staunend an. Hier gab es eine Reihe von Tieren aller möglichen Arten und Größen. Ziegen, Schafe, große Stallkaninchen, Enten, Gänse und sogar ein Alpaka. Die Enten und Gänse wurden unruhig, die anderen schauten uns nur neugierig an. Der Tierpfleger schloss das Tor und nun waren wir mit den anderen alleine. Das schien nun unser neues Zuhause zu sein.
Ein paar Hühner und Gänse liefen nervös hin und her, aber die meisten gaben sich Mühe, uns zu zeigen, dass sie schon länger hier wohnten und dass wir uns gefälligst unterzuordnen hatten. Natürlich wollten wir keinen Ärger und wir wussten, dass wir auf Dauer gegen die Mehrheit hier keine Chance hatten. Also nahmen wir den Kopf herunter und versuchten niemanden zu provozieren. Alpakas hatten starke Hufe und damit wollten wir nicht in Kontakt kommen. Gänse konnten unangenehm frech werden und sogar das Riesenstallkaninchen klopfte einmal bedrohlich mit seinen Hinterpfoten vor meiner Nase. Also zogen wir uns in eine freie Ecke neben einem Strohballen zurück, ohne auf irgendwelche Provokationen zu reagieren. Das schien zu wirken und alle Tiere hatten wohl verstanden, dass wir keine Bedrohung für ihren Status darstellten.
Na, das hätte ich mir ja in meinen kühnsten Träumen nicht ausmalen können. Ich, als fettes rundes Hängebauchschwein teile mir einen Stall mit Hühnern, Ziegen und Kaninchen und diese sonst so knuddeligen Haustiere haben mich in ihrer Hackordnung weit hinter sich gelassen. Kann man als Mensch tiefer sinken oder kann man daran auch etwas Gutes erkennen? Und tatsächlich, je mehr ich darüber nachdachte, desto mehr konnte ich mich mit der Situation anfreunden. Wenn ich dann bedachte, dass ich mir über nichts mehr Gedanken machen musste, dass ständig für Fressen gesorgt wurde, dass ich einfach in den Tag hinein leben konnte, dann sah ich doch die vielen Vorteile dieses Lebens und genoss diesen Zustand sogar. Ich war mir sicher, solange ich die Hackordnung im Stall berücksichtigte, solange würde es mir gut gehen.
Am Abend kam dann der Tierpfleger und füllte unsere Tröge mit Obst und Gemüse und auch Körnern wieder auf. Uns Schweinen warf er noch ein paar vergorene Kartoffeln und Salate hin. Die mochten wir gerne und die anderen Tiere wollten die nicht. Das war gut, denn an das andere Futter ließen sie uns nicht heran. Sogar das Kaninchen schaffte es, uns von dem Körnerfutter zu verjagen. Deshalb konzentrierten wir uns auf die Kartoffeln und die mittlerweile braunen Salatblätter.
Die Nacht verbrachten Lisa und ich eng aneinander gekuschelt nebeneinander in unserer Ecke. Wir ließen uns auch nicht von dem aggressiven Schnattern und Zischen des Gänserichs stören, der ab und zu dicht an uns vorbeiwatschelte. Wir schauten Konflikt vermeidend auf den Boden und rückten ein wenig nach hinten. Damit schien er dann zufrieden zu sein. Sicher waren wir als Hängebauchschweine größer und massiger als er, aber seine Aggressivität machte schon einen großen Eindruck auf uns. Ach, so ein Gänserich ist doch schon ein interessantes Tier. So stolz, dominant und er kann sogar fast ein wenig fliegen. Genauso gefiel mir mittlerweile der klopfende Riesenrammler. Was waren das nur für Gedanken? Weg damit, das geht doch alles nicht. Gab es hier nicht standesgemäße, potenzielle Partner für mich?
Es stellte sich heraus, dass die größeren Tiere alle weiblich waren. Die Böcke befanden sich nebenan. Ein Alpakahengst, ein Ziegenbock und ein Schafswidder. Man hatte uns wohl vorsorglich getrennt, damit es nicht zu ungeplantem Aufeinandertreffen kommt. Das war auch besser so, denn ein umtriebiger Bock oder Widder konnte schon sehr aufdringlich werden und uns Säuen ziemlich viel Stress bereiten. Zumal sie häufig nicht großartig zwischen Weibchen ihrer Art und anderen Arten unterschieden. Wenn, dann wollte ich doch bitte einen Spielkameraden meiner Art haben. Schließlich konnte ein Ziegenbock oder Schafswidder doch nicht mit einem anständigen Hängebauchschwein-Eber mithalten.
Eigentlich war ich jetzt auf das Streichelzoogehege gespannt, doch es tat sich nichts. Tag für Tag blieben wir in der Scheune und kamen nicht raus. Eines Tages kamen dann zwei Tierpflegerinnen, die wir kaum kannten. Sie wussten auch nicht, wer ich war bzw. woher Lisa und ich kamen. Beide unterhielten sich offen und ungezwungen. Sie wussten ja nicht, dass ich sie zu einem Teil verstehen konnte. Die Menschensprache hatte ich ja noch nicht ganz verlernt.
„Es ist schon schade, dass wir den Zoo wegen der Pandemie nicht öffnen können.“ „Ja, ich hoffe, dass dieser Lockdown bald vorbei ist, wir haben keine Besucher, es kommt kein Geld rein und die Tiere brauchen auch Unterhaltung.“ „Ich habe gehört, dass die Zooleitung manche Tiere abgeben will, weil langsam das Geld ausgeht.“ „Nicht nur das, die wollen unrentable Tiere zum Schlachter, unverwertbare zum Abdecker bringen.“ „Naja, das wird wahrscheinlich nicht die wertvollen Tiere wie Löwen, Affen und Bären treffen, aber ein paar Hühner, Gänse und hier diese komischen fetten Schweine. Die würden uns eine Menge Futter einsparen. Mal sehen, was die Zooleitung entscheidet.“
Hups, das war ja interessant. Mir wurde plötzlich ganz mulmig. Könnte das etwas bedeuten …? Ich musste schnell was unternehmen. Doch was konnte ein dickes unförmiges Hängebauchschwein wie ich schon machen, einem Besuch beim Schlachter oder Abdecker zu entgehen? Oder sollte ich mich meinem Schicksal ergeben und so teilnahmslos herumliegen wie meine Kollegin Lisa? Auch das Kaninchen und die Gänse schienen den Ernst der Lage nicht verstanden zu haben. Nun, ich war jetzt ein Schwein und von einem Schwein erwartete man, dass es sich klaglos in sein Schicksal ergibt.
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Ein Zoospaziergang
Die nächsten Tage verliefen nicht anders als die vorherigen. Besucher gab es nicht und wir Tiere verbrachten unsere Zeit in der Scheune. Bis auf ein paar kleine unbedeutende Streitereien mit den Gänsen und dem aggressiven Kaninchen passierte auch nichts Bedeutendes.
An einem der Tage kamen dann die beiden jungen Tierpflegerinnen und machten mit uns einen Spaziergang durch den Zoo. Das war ja mal etwas anderes, als immer in diesem dummen Stall herumzuliegen. Zumal wir den Zoo ja noch gar nicht kannten. Wir gehörten zwar zum Tierbestand des Zoos, hatten aber keine Ahnung, wer hier noch so alles wohnte.
„Die Schweine brauchen mal ein bisschen Bewegung“, sagte die eine, „die werden sonst immer fetter. Schau sie dir mal an, der Bauch schleift schon über den Boden!“
Da hatte sie leider recht. Das ständige Faulenzen machte sich deutlich bemerkbar. Hängebauchschweine heißen ja nicht von ungefähr so, doch wir machten dem Namen mittlerweile alle Ehre. Unsere Schwabbelbäuche schleiften tatsächlich die meiste Zeit über den Boden. Das tat unserer Haut natürlich nicht gut, obwohl wir ja eine dicke Schwarte hatten. Aber auch unsere Zitzen machten oft genug Bekanntschaft mit dem Untergrund und das war sehr unangenehm. Ach, wie sehnte ich mich nach den Zeiten zurück, wo man doch einen BH tragen konnte. Aber ein Schwein mit BH? Was für ein Anblick wäre das gewesen? Zumal wir ja zwölf Zitzen und nicht zwei wie die Menschen hatten. Hatte ich wirklich zwölf Zitzen? Das war aber komisch, als Transfrau war ich froh, dass ich durch Hormone zwei C-Körbchen erreicht hatte, und nun hatte ich auf einmal ZWÖLF Zitzen! Ich nahm mir vor, nach der Rückkehr von unserem Ausflug noch mal in Ruhe nachzuzählen. Das Zählen funktionierte ja noch einigermaßen. Wenigstens bis zehn ging es einigermaßen.
So trotteten wir also vorsichtig und gehorsam den Pflegerinnen hinterher und waren auf die anderen Bewohner des Zoos gespannt. Zwischendurch konnten wir es nicht lassen, grunzend und schnaufend jeden zweiten Busch und Strauch zu untersuchen. Meistens roch das nach Hund, leider schien hier noch kein Eber vorbeigekommen zu sein. So schade.
Wir sahen die obligatorischen Zebras, Nashörner, Kamele und Nilpferde. Alles Tiere, die uns eine Nummer zu groß waren. Welches Hängebauchschwein würde sich schon für ein Kamel interessieren? Da waren dann die Tapire und die Wasserschweine schon interessanter. Leider zeigten sie kein Interesse an uns.
Dann wurde es aber wirklich interessant. Wir kamen auf die Affeninsel. Hier gab es ein großes Affenhaus, in das wir aber nicht hinein durften. Allerdings waren viele Affen in den Außengehegen und vergnügten sich dort miteinander. Die kleineren Affen wie Löwenköpfchen, Seidenäffchen und die Meerkatzen schauten uns zwar neugierig an, aber die waren uns zu klein, um uns mit diesen zu beschäftigen. Reizvoller wurde es da schon bei den Menschenaffen. Hier gab es Gorillas, Orang-Utans und Schimpansen. Die schienen aber genau zu wissen, dass es Menschenaffen waren, so stolz und abweisend benahmen sie sich. Ich hatte den Eindruck, dass sie auf alle anderen Tiere sehr geringschätzig hinabblickten. Sie waren den Menschen am ähnlichsten, sie waren intelligent und hatten ein ausgeprägtes Sozialleben. Deshalb waren die anderen Tiere weit unter ihrem Entwicklungsstand, natürlich und ganz besonders wir Schweine. Selten habe ich mich so minderwertig gefühlt. Ach, wie beneidete ich diese stolzen und schlauen Affen. Sie waren nur eine kleine Stufe vor den Menschen und wurden von ihnen auch viel würdevoller behandelt. Ein Menschenaffe zu sein, das wäre schon etwas. Menschsein war für mich keine Option mehr, aber wenn ich denn wenigstens so ein edles und stolzes Tier geworden wäre. Stattdessen war ich ein wabbelndes, unförmiges, stinkendes Tier, dessen schwabbelnder Bauch über den Boden schleifte. Die attraktiven Affenmännchen schauten uns nur geringschätzig an und ich glaube, die dachten im Traum nicht daran, es einmal mit einem Schwein zu versuchen. Ich wäre da sehr gerne zu bereit gewesen, doch waren wir weit unter ihrer Würde. Das konnte ich aber auch gut verstehen. Als Mensch hatte ich das natürlich ganz anders gesehen. Da wäre Sex mit Tieren nicht im Entferntesten infrage gekommen. Jetzt sah das ganz anders aus und ich wäre dankbar gewesen, wenn sich ein Affenmännchen für mich interessiert hätte.
Also alles nur ein Traum! Ich hätte sofort zugestimmt, mein restliches Leben als Affe zu verbringen im Gegensatz zur unbestimmten Hoffnung, jemals wieder als Mensch zu leben. Doch das war ja wohl unmöglich.
Meine Zukunft war dagegen noch sehr ungewiss. Es war sehr gut möglich, dass ich in den nächsten Tagen dem Schlachter in die Augen schauen würde.
Neben den eindrucksvollen Schimpansen befand sich noch ein Gehege mit etwas kleineren Schimpansen, das waren die Bonobos. Sie zählen ebenfalls zu den Menschenaffen, sind aber nicht ganz so groß und massig wie die Schimpansen. Die gefielen mir auch sehr gut und insbesondere ein junges Männchen wirkte ganz besonders auf mich. Es war stolz, kräftig und hatte wunderbares Fell. Er kam auch sofort ans Gitter und schaute uns aufmerksam an. Es machte den Eindruck, dass er sehr gerne mit uns spielen würde, leider waren die Gitterstäbe dazwischen. Ach, wie sehr wünschte ich mich nun auf die andere Seite des Gitters. Wenn ich eine Bonobodame wäre, dann …
Dann trieben uns die Pflegerinnen auch schon weiter. Mit einer Rute schlugen sie kurz auf unsere dicken Hinterteile und wir wussten, dass wir jetzt weiterlaufen sollten. Die Menschen brauchten nicht mit uns sprechen, aber wir wussten sofort, was gemeint ist, wenn wir die Rute spürten. Besonders weh tat das ja auch nicht, da unsere Schwarte ziemlich dick war. Ich lernte, beim Anblick der Rute ziemlich schnell zu erraten, was die Pflegerin von mir erwartete. So eine Rute war schon eine tolle Erfindung.
Weiter ging es durch den Zoo und wir sahen noch eine Menge anderer Tiere. Nirgendwo war es aber so interessant wie zuvor bei den Affen.
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